Seite 4  Westpreußen Berlin Mitteilungsblatt         Nr. 74

 

 

am 29. März 1898 an das Kultusministerium. Das Gemälde wurde im Juni 1898 nach der kaiserlichen Genehmigung offiziell angenommen.

Zur gleichen Zeit erhitzte eine Zeitungsnachricht die Gemüter, nach der  mehrere Gemälde von Leistikow, darunter „Grunewaldsee“, von der Jury der Großen Berliner Kunstausstellung zurückgewiesen worden seien. Ähnlich erging es Curt Herrmann und vielen anderen. Doch wenige Tage später erfolgte die Richtigstellung: „Die ‚Correspondenz für Kunst und Wissenschaft’, die kürzlich die Nachricht verbreitete, daß die Jury der diesjährigen   Kunstausstellung die Arbeiten Walter Leistikow’s zurückgewiesen habe, widerruft heute ihre  Mitteilung in folgender Form: ‚obwohl die Meldung nach den früheren Erfahrungen des Künstlers nicht überraschen dürfte, ist doch   festzustellen, daß sie sich nicht bestätigt. Es sind diesmal alle Werke  angenommen worden, die der Künstler zur Ausstellung gebracht hat’“ (Anonym, „Was sich Berlin erzählt“, in: Berliner Börsen-Courier,  29.3.1898, 1. Beilage, S. 3, hier zitiert nach Meister 2008, S. 59 in: Stimmungslandschaften...).

Von dieser Berichtigung nahm jedoch niemand Notiz. Im Unterschied zu Curt Herrmann, der sofort für eine öffentliche Klarstellung sorgte, äußerte sich Leistikow selbst nicht öffentlich und leistete so der Mythenbildung Vorschub.

 

Schlussbemerkungen

Walter Leistikow erschoss sich mit 43 Jahren. In seiner kurzen Schaffenszeit umfasst die Zahl seiner Gemälde immerhin – grob geschätzt - rund 500. Diese Gemälde sind äußerst heterogen, Stilperioden wechseln sich ab. Die Arbeiten der Jahre 1896 bis 1902 sind dabei von der stärksten Wirkung, einer Zeit also, in der er hoffnungsvoll in die Zukunft schauen konnte und noch nicht von der Syphilis-Krankheit beschwert war (Lacher 2000, Seiten 214/215, Nachwort zum Nachdruck: Corinth 1910: Walter Leistikow...). Die Werke, die Leistikow seit etwa Mitte der 1890er Jahre schuf, gehören zu jener Kunstrichtung, die später nach der „Jugend“, der ab 1896 erschienenen Münchener Zeitschrift , ‚Jugendstil’ benannt wurde (zuvor als ‚Dekorative’ oder ‚stilisierende’ Malerei) bezeichnet). Der Begriff ‚stilisierende’ Malerei „bezeichnete zusätzlich zur formalen Charakteristik einen Gegensatz zum Naturalismus, daß nämlich die Wiedergabe der Wirklichkeit nicht die getreue Übersetzung anstrebe, sondern ausdrücklich einem künstlerischen Gestaltungswillen unterworfen sei. Leistikow entfaltete ein Spiel mit dem Grad seiner Stilisierung. Er gestaltete ‚mitunter ein und dasselbe Motiv stylisierend und dann wieder ganz naturwahr’“ (Norden 1902, S. 331, hier zitiert nach Lacher 2000, S. 213). Corinth stellte 1897 fest, dass Leistikow um 1897 „mit seinen Füßen wieder den wirklichen Boden“ berührt habe und so „auf die naturalistische Auffassung der Natur zurück“ gekommen sei (s. Corinth 1910/2000, S. 57), darin liegt aber nach Lacher (2000, S. 214) „eine Übertreibung, die den Läuterungsprozess in Leistikows Werk unterstreichen soll. Wie weite Teile des Berliner Publikums wird auch Corinth wenig Verständnis für Leistikows eigenwillige Formbehandlung aufgebracht haben.“

Die Kritik sah in Leistikows Werken „die Pietät gegen die Wirklichkeit außer Acht gelassen, rügte die Verfälschung der Natur und erlogene Stimmung.“ Die breite Ablehnung mag dazu beigetragen haben, dass Leistikow seine Gestaltungsmittel für die meisten seiner Bilder abschwächte.

Weiterhin war ihm die Linie der wichtigste Ausdrucksträger. Sie ergab sich nun jedoch wie selbstverständlich aus dem Naturmotiv, ja, die Landschaft schien die dekorative Gestaltung zu erzwingen. Einige aufragende Kiefernstämme inspirierten den Maler zu kraftvollen    Rhythmisierung der Bildbreite.

1897, mit   der    stilistischen    Läuterung   Leistikows, begann

 

die erstaunliche Erfolgsgeschichte Leistikows. Im August 1898 widmete ihm die Berliner Zeitschrift „Deutsche Kunst“ einen ersten biographisch-kritischen Aufsatz. Unter den Malern der XI, so heißt es dort, sei er „eines der herausragendsten Talente“ (Wilhelm Fabian: Zur Schätzung Walter Leistikows. In: Deutsche Kunst. 2 [1898], S. 381-383). Max Osborn schrieb 1899: „[Leistikow] zählt trotz seiner Jugend zu den wenigen Malern des heutigen Deutschland, die sich rühmen dürfen, einen persönlichen Stil zu besitzen“ (Max Osborn: Walter Leistikow. In: Deutsche Kunst und Dekoration. 5 [1899], S. 113). Sicherlich hat der Kritiker diese Beobachtung  vor Leistikows Grunewaldseen angestellt, in denen der ‚persönliche Stil’ beinahe die Festigkeit einer Signatur annahm. „Seine Fortüne war aufs engste mit den märkischen Motiven verknüpft, die er zumeist im Grunewald, am Wannsee oder in der Gegend südöstlich von Berlin fand“ (Lacher 2000, S. 223). Fontane Jahrzehnte vorher literarisch und Leistikow später in der Malerei widerlegten Goethes Wort, das die Mark als ‚Sandbüchse des Heiligen Römischen Reichs’ in Verruf gebracht hatte. „Leistikow wertete den vermeintlichen Mangel in einen Vorzug um. Just in der Kargheit des Landes entdeckte er seine Charaktertiefe, in der Einfachheit erblickte er Größe. Er zeigte das flache Land mit seinen Kiefernwäldern und Seen als stimmungsvolle Elementarlandschaft, als Ausdruck feierlichen Ernstes und sanfter Melancholie“ (Lacher 2000, S. 223). Corinth: Leistikow ist „für die Welt zum Dolmetsch dieser  spröden Natur geworden“ (Corinth 1910/2000, S. 57, hier nach Lacher 2000, S. 224). Lacher (2000, S. 224) weiter: „Die verblüffende Suggestion seiner Landschaften, die ästhetische Verwechslung von Kunst und Natur, ist zum Topos aller Beschäftigung mit Leistikow geworden. Das Berliner Publikum  verdankte seiner Landschaftskunst, mit etwas Vertrautem bekannt gemacht worden zu sein“.

   Leistikow verkauft gut und ‚watet im Geld’ (Corinth 1910/2000, S. 224). „Die Welt will Grunewald von mir“, schreibt er an Gerhart Hauptmann (Brief vom 20.8.1904; publiziert in: Bröhan 1988/89, S. 135).  Leistikow ist nicht in Vergessenheit geraten: Die Berliner Kunstgeschichte ohne Walter Leistikow ist undenkbar.

„Man hat versucht, die Festlegung auf den ‚Maler der Mark’ aufzulösen, um so dem Vorwurf der Wiederholung zu begegnen“ (s. a. Vielfalt in der Bildauswahl bei Corinth 1910). „Doch ist nicht zu übersehen, dass bestimmte Motivgruppen in Leistikows Werk hervortreten, sowohl durch die Häufigkeit der Beispiele als auch durch die von der Anteilnahme des Malers an seinem Motiv beflügelte malerische Kraft“ (Lacher 2000, S. 225/226):

- Hafenansichten (bei Corinth nur eine),

- das in den Naturraum eingebundene Haus und eben

- der vom Kiefernwald gesäumte See, das      hervor- 

  ragendste Element    von Leistikows persönlicher Ikono-

  graphie.

Außerhalb der Malerei wären seine literarischen Bemühungen (s. der Roman „Auf der Schwelle“), seine kunstgewerblichen Arbeiten wie Bilderrahmen und ‚dekorative Entwürfe’, die dekorative Graphik, die Bildteppiche, die Möbelentwürfe, die Glasfenster, Tapeten und Stoffmuster weitere Themen.

Literatur: Stimmungslandschaften. Gemälde von Walter Leistikow (1865-1908). Herausgegeben von Ingeborg Becker. München, Berlin: Deutscher Kunstverlag, Bröhan-Museum Berlin (2008). (hier weitere Literatur).             

- Hk -

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