Nr. 66 (03)    S. 1                                                   Oktober   2 0 0 5                                                          19. Jahr

  „Wir fürchten , dass...“

Und was die Polen fürchten müssen meinen,

meinen die Deutschen befürchten zu müssen, das geflissentlich

 

Das Zentrum gegen Vertreibungen mit dem Standort Berlin löst in Polen immer Proteste und Gegenerklärungen aus. Dies geschieht jetzt wieder während des Wahlkampfes um das Amt des Staatspräsidenten. Wer soll Nachfolger von Staatspräsident Aleksander Kwasniewski werden? Die besten Aussichten haben zur Zeit der Marschall des Sejms Wlodzimierz Cimoszewicz, von der Linkspartei SLD nominiert, und Lech Kaczynski, Stadtpräsident von Warschau, von den nationalistisch operierenden Rechten aufgestellt. Beide haben im Wahlprogramm von CDU/CSU in Deutschland Munition entdeckt.

 

So heißt es im besagten Wahlprogramm: „Die deutschen Heimatvertriebenen und die deutschen Volksgruppen in Osteuropa haben auch nach der Osterweiterung eine wichtige Brückenfunktion bei der Zusammenarbeit mit unseren östlichen Nachbarn. Wir wollen im Geiste der Versöhnung mit einem Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin ein Zeichen setzen, um an das Unrecht von Vertreibung zu erinnern und gleichzeitig Vertreibung für immer zu ächten.

 

Daraufhin erklärte Wlodzimierz Cimoszewicz: „Wir fürchten, dass dieses Projekt zu dem Versuch führen könnte, die Darstellung der Geschichte des 20. Jahrhunderts zu verändern.“ Die Tonlage der Erklärung des Mannes auf der Rechten, Lech Kaczynski, entspricht der seines Gegners im Rennen am 5. Oktober um das Amt des Staatspräsidenten: „Diese Entscheidung der CDU/CSU ist falsch – und sie stellt ein falsches Bild von der Geschichte des 20. Jahrhunderts dar.“

 

Es muss gefragt werden, mit welchem Grund sich Repräsentanten der polnischen Politik anmaßen, im Wahlkampf des deutschen Nachbarn mitreden zu wollen und zu müssen. Ein Anlass könnte doch nur dann bestehen, wenn nationalistische und feindliche Äußerungen gegenüber Polen zu finden wären.

 

Dem ist aber nicht so. Allerdings scheint das Gespenst umzugehen, dass wir Deutschen die jüngste Geschichte umschreiben, womöglich neu schreiben wollten, wenn ein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin entsteht und gleichzeitig die Unterstützung in einer Erklärung der Solidarität von CDU/CSU erhält.

 

Die Deutschen, so will man es dargestellt wissen, waren mit der Entfesselung des zweiten Weltkrieges und all den Unmenschlichkeiten geschichtsnotorisch die Täter, Opfer des Zweiten Weltkrieges dürfen sie nicht gewesen sein. Außer-dem das verzerrte Bild von der Geschichte des Zweiten Weltkrieges, wie es der frühere polnische Botschafter in Deutschland, der erste Botschafter eines freien Polen, Janusz Reiter, wiederholt so formuliert: Holocaust wird dokumentiert, und es wird daran erinnern, und jetzt soll den Vertriebenen in Deutschland das Gleiche widerfahren, Dokumentation und Erinnern an die Vertreibung. Deshalb seine Frage: Wo bleib dann Polen?

 

Dieses Misstrauen bis hin zur Tendenz einer Bevormundung hatte sich während der 15. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages bereits in Mehrheitsbeschlüssen niedergeschlagen, nach denen über das Verbrechen der Vertreibung der Deutschen nur unter europäischen Vorzeichen berichtet werden solle und dürfe. Die Folge all dessen ist die Errichtung eines „Europäischen Netzwerkes Erinnerung und Solidarität“ unter polnischer Leitung  in Warschau. Enthüllende Nebenbemerkung: Die Vertreibung der Sudeten-deutschen wird ausgeschlossen, denn die Tschechen haben bis jetzt jede Mitarbeit verweigert.

(Fortsetzung Seite 2)

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